Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit

21. Oktober 2024

Finanzielle Entschädigung für Feuerwehrleute aus NRW

Das Oberverwaltungsgericht NRW hat in den Verfahren 6 A 856/23 und 6 A 857/23 am 30. 9. 2024 zwei Feuerwehrleuten recht gegeben und für bereits geleistete Alarmbereitschaft eine finanzielle Entschädigung zugesprochen.


Zugrunde lag ein ähnlicher Rechtsstreit, in welchem der EuGH 2018 entschieden hatte, dass Rufbereitschaft als Arbeitszeit festzulegen sei (EuGH, 21.02.2018, C-518/15).


Die hier klagenden Feuerwehrleute leisteten bei der Berufsfeuerwehr Mühlheim an der Ruhr 24 Stundendienste im Direktionsdienst und hatten dabei Alarmbereitschaft, d. h. sie mussten innerhalb von 90 Sekunden mit dem Dienstfahrzeug ausrücken. Hieraus ergeben sich gravierende Einschränkung für die Zeitgestaltung der Kläger während der Dienste.


Als Rechtsfolge wurde die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden überschritten. Hierfür seien die Kläger entsprechend zu entschädigen. Ein Freizeitausgleich komme nicht in Betracht, sodass eine finanzielle Entschädigung verlangt werden könne und insoweit der Anspruch umzuwandeln sei.


In 1. Instanz wurden die Klagen vom Verwaltungsgericht Düsseldorf abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Es ist jedoch möglich, dass die Stadt Mülheim an der Ruhr Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegt.


Im Fall des EuGH ging es um einen Feuerwehrmann aus Belgien. Dieser war in der Stadt Nivelles Reserve-Feuerwehrmann. Als solcher ist er dazu verpflichtet, sich in einer Woche pro Monat abends und am Wochenende für Einsätze bereitzuhalten. Er hatte hierfür in höchstens 8 Minuten auf der Feuerwache zu erscheinen. Er durfte also einerseits nicht zu weit von der Feuerwache entfernt wohnen bzw. musste sich während dieser Rufbereitschaft zumindest in ihrer Nähe aufhalten, wodurch die Freizeitgestaltung und Lebensführung erheblich eingeschränkt wurde.


Die Besonderheit im dortigen Fall lag jedoch darin, dass er lediglich für diejenigen Zeiten bezahlt wurde, in denen er sich im aktiven Dienst befand. Die Zeit der passiven Rufbereitschaft wurde nicht vergütet. Dies wollte der Kläger im dortigen Verfahren nicht hinnehmen. Zur Begründung wurde mit dem europarechtlichen Arbeitszeitbegriff argumentiert. Der Brüsseler Arbeitsgerichtshof legte den Fall dem EuGH vor, der ihn im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88) auslegte. Er entschied, dass auch eine passive Rufbereitschaft Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie sei, sofern der Arbeitgeber zeitliche und/oder geographische Vorgaben mache, die den Arbeitnehmer während der passiven Rufbereitschaft in seiner Freizeitgestaltung einschränken. Das sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet sei, sich während der Rufbereitschaft innerhalb von acht Minuten  am Arbeitsort einzufinden und dies zur Folge habe, dass ein Wohnort in der Nähe des Arbeitsortes zu wählen bzw. sich dort während der Rufbereitschaft aufgehalten werden müsse. Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie sein immer dann gegeben, wenn sich der Arbeitnehmer in einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die Arbeitsleistung erbringen zu können. Es sei unerheblich, ob der Arbeitnehmer in dem Betrieb des Arbeitgebers sei, zu Hause oder an einem eng gesteckten, geographischen Radius gezwungen ist, sich aufzuhalten.


Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz sei Rufbereitschaft als Ruhezeit und nicht als Arbeitszeit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes wiederum verhält es sich jedoch so, dass dies nur dann anzunehmen ist, wenn man frei über seinen Aufenthaltsort bestimmen kann. Kann man dies nicht, weil man sich z.B. innerhalb von 10 bis 20 Minuten am Arbeitsort einfinden muss, liege keine Rufbereitschaft vor. Vielmehr handele es sich dann ebenso um Arbeitszeit.


Nach der bislang erfolgten Interpretation ist jedoch die Frage der Bezahlung für derartige Bereitschaftszeiten eine andere gewesen. Die Vergütung sieht der EuGH außerhalb seiner Zuständigkeit. Es gehe lediglich um Fragen des Arbeitsschutzes, wie beispielsweise in Bezug auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit und erforderliche Ruhepausen. Damit ist also gerade nicht entschieden, ob das gängige Modell der Faktorisierung zukünftig ausgehebelt werden kann.


Jedenfalls im vorliegenden Fall ist jedoch durch die Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ein Entschädigungsanspruch entstanden.


Weiterführende Links:

https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/54_241018/

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/oberverwaltungsgericht-nordrhein-westfalen-feuerwehr-lohnausgleich-bereitschaft-arbeitszeit

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c51815-rufbereitschaft-arbeitszeit-freizeit-lohn-ruhepause


Weitere Urteile in diesem Zusammenhang:

BAG, 29.06.2016, 5 AZR 716/15

BAG, 28.01.2004, 5 AZR 530/02

BAG, 19.12.1991, 6 AZR 592/89; 31.01.2002, 6 AZR 214/00

EuGH, Simap, 03.10.2000, C-303/98; Jaeger, 09.09.2003, C-151/02; Dellas, 01.12.2005, C-14/04

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